Das Bundessozialgericht (BSG) hat klargestellt, dass Vertrags(zahn)ärzten kein Streikrecht zusteht. Anlass war die Verhängung eines disziplinarischen Verweises gegenüber einem Vertragsarzt, der seine Praxis wiederholt während der Sprechzeiten geschlossen hatte, um an einem vertragsärztlichen „Warnstreik“ teilzunehmen. Das BSG hat die Rechtmäßigkeit der Verhängung des Verweises bestätigt und dies wie folgt begründet:

Die Konzeption des Vertragsarztrechts schließe es gerade aus, dass die für die vertragsärztliche Versorgung maßgebenden Bedingungen – insbesondere die Honorierung der Leistungen – zwischen den daran teilnehmenden Ärzte und den gesetzlichen Krankenkassen ausgehandelt und gegebenenfalls durch „Kampfmaßnahmen“ durchgesetzt werden. Der Gesetzgeber habe durch die Ausgestaltung des Vertragsarztrechts die partiell gegenläufigen Interessen von Patienten und Leistungserbringern zum Ausgleich gebracht, um auf diese Weise eine verlässliche Versorgung der Versicherten zu angemessenen Bedingungen sicher zu stellen. Wesentliche Strukturelemente des Vertragsarztrechts seien ein Kollektivvertragssystem sowie die Übertragung des Sicherstellungsauftrags auf die Kassenärztlichen Vereinigungen (KÄVen), so das BSG.

Im Rahmen des Kollektivvertragssystems stehen sich die gesetzlichen Krankenkassen und die KÄVen als Interessenvertreter der Ärzte gegenüber. Historisch betrachtet diene die Ablösung von Individualverträgen zwischen Arzt und Krankenkasse durch Kollektivverträge dem Schutz der Vertragsärzte. Innerhalb der gesetzlichen Vorgaben gewähre der Gesetzgeber den Kollektivvertragspartnern ein hohes Maß an Autonomie, indem er der gemeinsamen Selbstverwaltung von Ärzten und Krankenkassen das Recht einräume, die Einzelheiten der vertragsärztlichen Versorgung durch sogenannte „Normsetzungsverträge“ weitgehend selbst zu regeln. Zugleich gebe er ihnen allerdings auch durch das Gebot zum Zusammenwirken (§ 72 Abs 1 Satz 1 SGB V) auf, beim Abschluss der erforderlichen Vereinbarungen zu einem Interessensausgleich zu finden. Können sich Krankenkassen und KÄVen auf regionaler Ebene – bzw ihre Spitzenorganisationen auf Bundesebene – nicht über den Inhalt eines Vertrages einigen, werde ein solcher Konflikt nicht durch Mittel des Arbeitskampfes wie „Streik“ oder „Aussperrung“ ausgetragen, sondern durch verbindliche Entscheidungen von Schiedsämtern gelöst, deren Rechtmäßigkeit zur gerichtlichen Überprüfung gestellt werden könne.

Durch die Übertragung des Sicherstellungsauftrags auf die KÄVen haben diese die vertragsärztliche Versorgung in dem gesetzlich vorgegebenen Umfang sicherzustellen und den Krankenkassen und ihren Verbänden gegenüber die Gewähr dafür zu übernehmen, dass die Versorgung den gesetzlichen und vertraglichen Erfordernissen entspreche. In diesen Sicherstellungsauftrag sei der einzelne Vertragsarzt aufgrund seiner Zulassung und als Mitglied der körperschaftlich verfassten KÄV eingebunden. Andererseits erwachse aus dem Sicherstellungsauftrag auch die Verantwortung der KÄVen und ihrer Mitglieder für die Funktionsfähigkeit des Systems des Vertragsarztrechts und der gesetzlichen Krankenversicherung, so das BSG.

Quelle: Bundessozialgericht, Urteil vom 30.11.2016, Az: B 6 KA 38/15 R, Terminbericht 45/16

BSG: Kein Streikrecht für Vertrags(zahn)ärzte