Das Bundessozialgericht (BSG) hat entschieden, dass der Zulassungsausschuss für Ärzte einen Bewerber um einen ausgeschriebenen Vertragsarztsitz wegen fehlenden Fortführungswillens ablehnen darf, wenn dieser plant, in einem zweiten Schritt auf seine Zulassung zum Zwecke der Anstellung zu verzichten und den bisherigen Standort der Praxis lediglich als angestellter Arzt einer Berufsausübungsgemeinschaft (alternativ: eines MVZ) fortzuführen.
Nach Auffassung des BSG sind an die „Fortführung“ einer Praxis i. S. d. § 103 Abs. 4 SGB V strenge Anforderungen zu stellen, um zu verhindern, dass es zu gesetzlich nicht gewollten Verkäufen von Zulassungen (ohne dazugehörige Praxis) komme. Dies ergebe sich daraus, dass in überversorgten Planungsbereichen ein Hinzutreten weiterer Vertragsärzte aufgrund von Zulassungsbeschränkungen grundsätzlich ausgeschlossen sei. Das Ausscheiden eines Arztes aus der vertragsärztlichen Versorgung in wegen Überversorgung gesperrten Planungsbereichen führe grundsätzlich dazu, dass der Sitz dieses Arztes entfalle. Das vermindere entweder die Zahl der zugelassenen Ärzte oder führe – auf kürzere oder längere Sicht – dazu, dass der Planungsbereich entsperrt werde.
Demgegenüber lasse es der Gesetzgeber zu, dass ein bestehender – für die Versorgung in einem wegen Überversorgung gesperrten Gebiet eigentlich nicht erforderlicher – Vertragsarztsitz nachbesetzt werden könne. Mit dieser Ausnahme berücksichtige der Gesetzgeber die finanziellen Interessen des bisherigen Praxisinhabers bzw. seiner Erben, welche anderenfalls wegen der fehlenden Verwertungsmöglichkeit der Arztpraxis erhebliche Nachteile erleiden würden, und trage damit den Erfordernissen des Eigentumsschutzes Rechnung.
Weil typischerweise die Arztpraxis nicht veräußert werden könne, wenn der Erwerber den mit ihr verbundenen Sitz nicht erhalte, bedürfe es der Zulassung des Erwerbers. Nicht der Vertragsarztsitz, sondern die Arztpraxis sei veräußerbar. Wo die Praxis in Wirklichkeit nicht veräußert werden solle, weil der neu hinzukommende Arzt sie nicht fortführen könne oder wolle, bestehe kein Grund für eine Nachfolgezulassung.
Nach Auffassung des BSG reiche es nicht aus, wenn der Nachfolger lediglich als angestellter Arzt in der Zweigpraxis einer Berufsausübungsgemeinschaft oder eines MVZ am Standort der bisherigen Praxis tätig werden wolle. Denn eine Praxisfortführung beinhalte sowohl eine „räumliche“ als auch eine „personelle“ Komponente.
In räumlicher Hinsicht setze sie grundsätzlich voraus, dass der Nachfolger eines ausscheidenden Vertragsarztes auf Dauer die bisherigen Patienten in denselben Praxisräumen mit demselben Personal und unter Nutzung derselben medizinisch-technischen Infrastruktur behandele oder zumindest behandeln wolle. Allerdings könne es im Einzelfall auch sachliche Gründe dafür geben, die Praxis nicht am bisherigen Ort oder nicht mit dem bisherigen Personal fortzuführen, etwa weil sich die Praxis im Einfamilienhaus des die Praxis abgebenden Arztes befinde oder dessen Ehefrau als Arzthelferin beschäftig gewesen sei.
In personeller Hinsicht sei erforderlich, dass der Nachfolger die Praxis in eigener Person weiter betreibe. Dabei genüge es nicht, dass dieser dort eine ärztliche Tätigkeit entfalte, sondern der Begriff „Fortführung“ beinhalte auch, dass der Nachfolger den Praxisbetrieb als Inhaber / Mitinhaber der Praxis fortsetze. Denn nur so habe er auch die rechtliche Möglichkeit, seinen Fortführungswillen umzusetzen. Es genüge daher nicht, wenn ein Bewerber beabsichtige, den Praxisbetrieb zwar am bisherigen Standort, jedoch lediglich als angestellter Arzt einer Berufsausübungsgemeinschaft oder eines MVZ fortzusetzen, weil dann die Fortführung der Praxis tatsächlich nicht von seinem Willen, sondern aufgrund des Direktionsrechts seines Arbeitgebers von dessen Willen abhänge. Damit sei nicht gewährleistet, dass der Nachfolger tatsächlich für längere Zeit oder überhaupt am bisherigen Standort der Praxis tätig werden könne.
Unabhängig von der Frage des Vorliegens eines Fortführungswillens hat der Zulassungsausschuss unter den vorhandenen Bewerbern auch unter Berücksichtigung der Kriterien des § 103 Abs. 4 S. 5 SGB V auszuwählen. Diese sind die berufliche Eignung, das Approbationsalter, die Dauer der ärztlichen Tätigkeit, eine mindestens 5 Jahre dauernde vertragsärztlich Tätigkeit in einem unterversorgten Gebiet, ob der Bewerber Ehegatte, Lebenspartner oder ein Kind des bisherigen Vertragsarztes ist, ob der Bewerber ein angestellter Arzt oder ein Berufsausübungsgemeinschaftspraxispartner des bisherigen Vertragsarztes ist und ob der Erwerber bereit ist, besondere Versorgungsbedürfnisse, die in der Ausschreibung des Sitzes durch die KV definiert worden sind, zu erfüllen.
Das BSG hat nunmehr festgestellt, dass der Zulassungsausschuss diese Kriterien lediglich in seine Erwägungen einbeziehen müsse und sie nicht gänzlich außer Acht lassen dürfe. Es stehe ihm aber frei, hiervon aus Sachgründen abzuweichen und weitere nicht im Gesetz aufgeführte Gesichtspunkte bei der Auswahlentscheidung unter mehreren Bewerbern zu berücksichtigen, wie z. B. den Umstand, ob ein bestimmter Bewerber deutlich mehr die (prognostische) Gewähr für eine länger andauernde kontinuierliche Patientenversorgung („Versorgungskontinuität“) biete als ein anderer.
Das Auswahlermessen des Zulassungsausschusses ist gerichtlich nicht voll überprüfbar. Daher ist es für Praxisabgeber, die ihren Wunschbewerber platzieren möchten sowie für alle Bewerber wichtig, bereits im Nachbesetzungsverfahren vor dem Zulassungsausschuss umfassend darzulegen welche Vorteile sie im Sinne der Patientenversorgung bieten.
Darauf hinzuweisen ist, dass es auch die Möglichkeit gibt, dass sich Medizinische Versorgungszentren (MVZ) oder bereits niedergelassene Vertragsärzte auf einen ausgeschriebenen Vertragsarztsitz bewerben, um diesen mit einem angestellten Arzt nachzubesetzen. Der Unterschied zu dem o. g. vom BSG entschiedenen Fall liegt darin, dass sich hier direkt der künftige Arbeitgeber um den Sitz bewirbt, während sich in dem o. g. Fall der Arzt, der sich in einem zweiten Schritt anstellen lassen wollte, zunächst als Vertragsarzt um den Sitz beworben hatte. Letzteres hatte das BSG mangels Vorliegen des erforderlichen Fortführungswillens für unzulässig erklärt.
Quelle: Bundessozialgericht, Urteil vom 20.03.2013, Az: B 6 KA 19/12 R