Das Sozialgericht (SG) München hat entschieden, dass die Leistungen eines zahnärztlichen MVZ für den Zeitraum, in dem kein ärztliche Leiter vorhanden ist, nicht abrechenbar sind und vollumfänglich im Wege der sachlich-rechnerischen Berichtigung zurückgefordert werden können.

In dem Fall, der dem Urteil zugrunde lag, musste gegenüber der zahnärztlichen Leiterin des MVZ ein Beschäftigungsverbot nach dem Mutterschutzgesetz ausgesprochen werden. Das MVZ beantragte umgehend eine neue zahnärztliche Leitung, der der Zulassungsausschuss in seiner nächsten Sitzung stattgab, allerdings nicht rückwirkend, sondern erst ab dem Sitzungszeitpunkt. Für die Übergangszeit behielt das MVZ seine Zulassung und erhielt den Betrieb aufrecht, allerdings ohne aktive zahnärztliche Leitung.

Auf Antrag eines Krankenkassenverbands wurde eine sachlich-rechnerische Berichtigung in die Wege geleitet. Das SG hat dem Krankenkassenverband nun recht gegeben und festgehalten, dass ein MVZ ohne aktiven ärztlichen Leiter nicht berechtigt ist, seine – ansonsten korrekt erbrachten Leistungen – abzurechnen. Das SG hat u.a. ausgeführt:

„Die im streitgegenständlichen Zeitraum vom MVZ der Klägerin erbrachten und abgerechneten Leistungen wurden nicht rechtmäßig erbracht, da das MVZ in diesem Zeitraum nicht, wie in §95 Abs. 1 S. 2 und 3 SGB V vorgesehen, zahnärztlich geleitet wurde. Nach langjähriger gefestigter Rechtsprechung besteht die Befugnis zur sachlich-rechnerischen Richtigstellung der Honorarforderung nicht nur im Falle rechnerischer und gebührenordnungsmäßiger Fehler, sondern erfasst auch Fallgestaltungen, in denen der Vertrags(zahn-)arzt Leistungen unter Verstoß gegen Vorschriften über formale oder inhaltliche Voraussetzungen der Leistungserbringung durchgeführt und abgerechnet hat (so z. B. BSG 23.06.2010, B 6 KA 7/09 R). (…) Die streitgegenständlichen Leistungen, deren Richtigstellung der Kläger begehrt, wurden unter Verstoß gegen §95 Abs. 1 S.2 und S.3 SGB V erbracht. Danach sind MVZ (zahn-)ärztlich geleitete Einrichtungen in denen der (zahn-)ärztliche Leiter selbst als angestellter Zahnarzt oder Vertrags(zahn-)arzt tätig sein muss. Der (zahn-)ärztliche Leiter ist in medizinischen Fragen weisungsfrei. Nach dem Gesetzeswortlaut muss ein MVZ damit per Definition eine zahnärztliche Leitung haben, diese ist konstitutiv für das MVZ. Wenn es keine zahnärztliche Leitung gibt, ist dem MVZ gemäß §95 Abs. 6 SGB V die Zulassung zu entziehen. Anders als beim Wegfall der Gründungsvoraussetzungen eines MVZ in §95 Abs. 6 S. 3 SGB V sieht der Gesetzgeber insoweit keine sechsmonatige Schonfrist vor. Der Gesetzgeber misst dem Vorhandensein einer zahnärztlichen Leitung damit eine hohe Bedeutung bei. Dies ist auch aus der Gesetzesbegründung zur Einfügung des §95 Abs. 1 S.3 SGB V mit dem GKV-Versorgungsstrukturgesetz 2011 erkennbar. Diese Klarstellung dient laut der Gesetzbegründung dazu, die sich aus dem ärztlichen Berufsrecht ergebende Therapie- und Weisungsfreiheit zu gewährleisten, „denn nur ein ärztlicher Leiter, der in die Organisations- und Versorgungsstrukturen des medizinischen Versorgungszentrums eingebunden ist, hat tatsächlich Einwirkungsmöglichkeiten auf die dortigen Abläufe und kann sicherstellen, dass ärztliche Entscheidungen unabhängig von sachfremden Erwägungen getroffen werden“ (BT-Drs. 17/6906, S. 70). Damit im Einklang geht das BSG in seiner Rechtsprechung davon aus, dass den ärztlichen Leiter eines MVZ zwar keine fachliche Verantwortung für jede einzelne Behandlungsmaßnahme treffe, wohl aber die Gesamtverantwortung für die ärztliche Steuerung der Betriebsabläufe und eine Gesamtverantwortung gegenüber der KÄV. Die Wahrnehmung von Leitungsfunktionen und die dazu notwendige tatsächliche Einwirkungsmöglichkeit erfordern laut dem BSG zunächst ärztliche Präsenz. Dabei sei eine Einbindung in die Strukturen des MVZ erforderlich, wie sie nur durch eigene ärztliche Tätigkeit gewährleistet werden können. Hinreichende tatsächliche Einwirkungsmöglichkeiten habe ein Arzt nur dann, wenn er selbst in die Arbeitsabläufe eingebunden sei und aus eigener Anschauung das Verhalten der Mitarbeiter beurteilen könne (BSG vom 14.12.2011, B 6 KA 33/10 R). Auch mit einem aktuelleren Urteil vom 26.01.2022 (B 6 KA 2/21 R) hat das BSG noch einmal herausgestellt, dass der ärztliche Leiter sicherstelle, dass die im MVZ tätigen ärztlichen Leistungserbringer in ihrer Tätigkeit keinen Weisungen von Nichtärzten unterworfen sind und die Verantwortung für die ärztliche Steuerung der Betriebsabläufe sowie eine Gesamtverantwortung gegenüber der KV habe. Das Bayerische Landessozialgericht hat außerdem in einem Urteil vom 27.01.2016 (L 12 KA 69/14) explizit die aus dem oben Ausgeführten resultierende Folge klargestellt, dass die Leitungsbefugnis auch tatsächlich ausgeübt werden muss. (…) Unzweifelhaft hat das MVZ der Beigeladenen im Zeitraum vom 29.07.2021 bis 23.11.2021 weiter über eine Zulassung und damit einen vertragszahnärztlichen Status verfügt. Dies steht einer sachlich-rechnerischen Richtigstellung der Abrechnung des MVZ aber nicht entgegen, da das Vertrags(zahn-)arztrecht seit jeher zwischen Status und Abrechnungsberechtigung unterscheidet. Allein der vertragszahnärztliche Status berechtigt einen Leistungserbringer nicht automatisch zu kassenzahnärztlicher Tätigkeit. Die vertragszahnärztliche Leistungserbringung erfordert nicht nur das Bestehen einer Kassenzulassung, vielmehr gibt es weiter zusätzliche Erfordernisse oder Einschränkungen, die zu beachten sein können. (…).“

Die Lösung liegt nach Ansicht des SG München darin, dass das MVZ jederzeit einen Vertreter für die zahnärztliche Leitung hätte bestellen können und auch müssen, so dass nach Auffassung des SG München kein unverhältnismäßiger Eingriff in das Recht des MVZ auf Honorierung vorliege.

Offen gelassen hatte das SG München, ob die Honorarrückforderung schon alleine deswegen stattzufinden hat, weil die Abrechnungssammelerklärung nicht durch die zahnärztliche Leiterin unterzeichnet worden ist. Hierzu hatte das Bundessozialgericht bereits entschieden, dass die Abrechnungssammelerklärung nur durch die im jeweiligen HVM bezeichneten Personen unterzeichnet werden darf:

„Auch ohne explizite Regelung im HVM führt das Fehlen einer Unterschrift oder die Unterschrift einer unzuständigen Person unter der Abrechnungs-Sammelerklärung zur sachlich-rechnerischen Richtigstellung der Honorarabrechnung. Nach ständiger Rechtsprechung des Senats ist die Abgabe einer – ordnungsgemäßen – Abrechnungs-Sammelerklärung keine Formvorschrift, vielmehr eine eigenständige Voraussetzung für die Entstehung des Anspruchs eines Vertragsarztes auf Vergütung der von ihm erbrachten Leistungen (…). Wenn die Garantiefunktion der Abrechnungs-Sammelerklärung mangels Unterschrift bzw mangels korrekter Unterschrift gar nicht erst entstanden ist und damit eine Voraussetzung für die Festsetzung des Honoraranspruches des Arztes bzw des MVZ fehlt, ist der auf der Honorarabrechnung des Vertragsarztes bzw des MVZ in Verbindung mit der vermeintlichen Bestätigung der ordnungsgemäßen Abrechnung beruhende Honorarbescheid rechtswidrig. Die KÄV ist berechtigt, den entsprechenden Honorarbescheid aufzuheben (vgl auch BSG Urteil vom 17.9.1997, aaO, RdNr 20 für den Fall, dass die Sammelerklärung sich wegen abgerechneter, aber nicht oder nicht ordnungsgemäß erbrachter Leistungen als falsch erweist und damit die Garantiefunktion entfällt). Insofern liegt das Honorar-Risiko auf der Seite des Arztes bzw des MVZ, dass eine nicht ordnungsgemäße Sammelerklärung eingereicht hat.“, so das BSG.

Quelle: Sozialgericht München, Urteil vom 29.02.2024, Az: S 49 KA 5037/23; Bundessozialgericht, Urteil vom 13.12.2023, Az: B 6 KA 15/22 R

Sachlich-rechnerische Berichtigung der Leistungen eines MVZ ohne ärztlichen Leiter, Unterzeichnung der Sammelerklärung